Nach dem BAG-Urteil: Ist nun die Arbeitszeiterfassung Pflicht?

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Nach dem BAG-Urteil: Ist nun die Arbeitszeiterfassung Pflicht?

Alle Arbeitgeber der EU-Mitgliedstaaten müssen in Zukunft die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter vollständig und systematisch erfassen. Das hatte 2019 bereits das Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. Wir hatten diesbezüglich ausführlich berichtet.

Anschließend hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit einem Grundsatzurteil am 13.09.2022 verkündet, dass sich eine solche Pflicht schon aus dem Arbeitsschutzgesetz ergibt (Az. 1ABR 22/21). Im Dezember 2022 veröffentlichte das BAG die Entscheidungsgründe zu diesem Beschluss. 

Der letzte Stand: Am 18. April 2023 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen Referentenentwurf präsentiert, der darauf abzielt, die Urteile des EuGH und des BAG in die Praxis umzusetzen.

Das BAG-Urteil macht also ab sofort die Arbeitszeiterfassung zur Pflicht. Konkrete gesetzliche Regelungen dazu fehlten aber. Nun liegt ein Entwurf zu Änderungen des Arbeitszeitgesetzes vor. Daraus ergeben sich viele Fragen für Unternehmen. Somit herrscht Unklarheit und es entsteht eine Unsicherheit in Bezug auf die Arbeitszeiterfassung.

Welche Auswirkungen hat das BAG-Urteil auf die Unternehmen? Wie sollen diese reagieren? Ist nach dem BAG-Urteil die Arbeitszeiterfassung tatsächlich Pflicht? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

(Update Mai 2023)

1. Was hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung konkret beschlossen?

Am 13. September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichtend aufgezeichnet werden muss. Dieser Entschluss beruht auf dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Arbeitgeber müssen somit ein System einführen, das die Arbeitszeit der Mitarbeiter erfasst, unter Beachtung einer unionsrechtskonformen Auslegung.

Im Detail müssen: a) Beginn und Ende der Arbeitszeit (bzw. Arbeitsdauer), b) Pausenzeiten, c) Überstunden erfasst werden (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG).

Das BAG stützt sich dabei auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019. Mehr dazu lesen Sie in unserem Blog-Artikel “EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung”.

BAG-Urteil: Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt ab sofort

Das Wichtigste: Das Grundsatzurteil der BAG wirkt wie ein Gesetz. Der Unterschied liegt nur darin, dass bei einem Gesetz die Vorgaben und Umsetzung der Pflicht detailliert beschrieben werden. Demensprechend verpflichtet die BAG-Entscheidung bereits jetzt schon Arbeitgeber in Deutschland zur Einhaltung des Urteils des EuGH aufgrund des Arbeitsschutzgesetzes. Ein entsprechendes (endgültiges) Gesetz soll voraussichtlich bis Ende 2023 in Kraft treten.

Dabei beschränkt sich diese Verpflichtung zur Einführung eines Zeiterfassungssystems nicht nur darauf, dass Unternehmen solche Zeitmanagement-Systeme zur freiwilligen Nutzung den Arbeitnehmern zur Verfügung stellen. Vielmehr ist der Arbeitgeber auch dazu verpflichtet, von dem Erfassungssystem tatsächlich Gebrauch zu machen.

Zu guter Letzt, sieht das BAG-Urteil auch keine Übergangsfrist vor. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt ab sofort für Unternehmen aller Größen. Wobei das BMAS in seinem aktuellen Gesetzentwurf eine nach Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsregelung vorsieht.

BAG-Urteil Arbeitszeiterfassung-Auswirkungen der Pflicht

2. Welche Auswirkungen hat das BAG-Urteil auf die Arbeitszeiterfassung?

Arbeitgeber müssen ab sofort ein revisionssicheres Zeiterfassungssystem einführen. Dabei muss die geleistete Arbeitszeit vollständig und systematisch erfasst werden (inkl. Überstunden), so wie das BAG entschieden hat. Die Unternehmen sind dazu verpflichtet, die erforderlichen Mittel und geeignete Organisationsstrukturen ihren Mitarbeiter bereitzustellen. Das sagt auch das Arbeitsschutzgesetz in § 3 Absatz 2 Satz 1.

Die Anwendung von flexiblen Arbeitszeitmodellen wurde noch nicht eindeutig geregelt. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist in Arbeit und ein erster Referentenentwurf wurde am 18.04.2023 veröffentlicht. Besonders vom Urteil betroffen sind neben den flexible Arbeitszeitmodellen die häufig praktizierte Vertrauensarbeitszeit, sowie Homeoffice- und Remote-Tätigkeiten. Auch für diese Arbeitszeitmodelle ist ab sofort eine vollständige Zeiterfassung verpflichtend.

Zudem haben nach dem Grundsatzurteil Arbeitnehmer das Recht, den Betriebsrat aufzurufen oder den Arbeitgeber aufzufordern, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz können Bußgelder von bis zu 25.000 Euro zur Folge haben (§ 25 ArbSchG).

Kein Rückfall in alte Zeiten

Experten gehen davon aus, dass das BAG-Grundsatzurteil tiefgreifende Folgen für die bisher weit verbreiteten Vertrauensarbeitszeitmodelle sowie für das mobile Arbeiten und Homeoffice haben wird. Schließlich ist nun eine höhere Kontrolle erforderlich.

Es gibt sogar Stimmen, die sagen, dass das Urteil ein Widerspruch zur modernen und flexiblen Arbeitswelt bzw. „New Work“ ist. Die Bedenken der Arbeitnehmer sind teilweise verständlich. Das muss aber nicht so sein.

Schließlich arbeiten wir im Zeitalter der Digitalisierung. Es stehen uns flexible, erschwingliche und simple Zeitmanagement-Systeme zur Verfügung. Diese digitalen HR-Systeme bieten viele Erfassungsmöglichkeiten, wie z.B. Zeit-Buchungen per mobile App, über Chip-Terminals oder am Arbeitsplatzcomputer. Und das Ganze unabhängig davon, ob von zu Hause, vom Büro, von der Baustelle oder unterwegs gearbeitet wird.

BAG-Urteil Arbeitszeiterfassung-die Vertrauensarbeitszeit

3. Was passiert mit der Vertrauensarbeitszeit?

Es besteht keine Unvereinbarkeit zwischen Vertrauensarbeitszeit und einer vertrauensvollen Arbeitszeiterfassung. Grundsätzlich können Regelungen zur Vertrauensarbeitszeit bestehen bleiben. Das ist auch für viele Unternehmen wichtig und genauso wird das vom BMAS vorgeschlagen: Die Vertrauensarbeitszeit bleibt erhalten, jedoch muss auch in solchen Fällen die Arbeitszeit erfasst werden. Dennoch ist der Arbeitgeber verpflichtet, „geeignete Maßnahmen“ zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz vermieden werden. Als Beispiel nennt der Gesetzentwurf die Meldung solcher Verstöße durch ein digitales Zeiterfassungssystem.

Wenn also unter Vertrauensarbeitszeit das Arbeiten ohne jegliche Zeiterfassung verstanden wird, ist das dann keine Option mehr. Ob schließlich die Arbeitszeit auf Papier (nur für Kleinbetriebe erlaubt), mit Hilfe einer HR-Software oder per mobile Zeiterfassungsapp erfasst wird, spielt dabei keine Rolle.

Maßgebend ist, dass die Dokumentation objektiv, verlässlich und zugänglich ist, wie bereits 2019 vom EuGH entschieden wurde.
Solange die Mitarbeiter die gesetzlichen Vorgaben bezüglich Ruhepausen, Höchstarbeitszeiten usw. einhalten, haben sie nach wie vor die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit individuell zu gestalten.

Transparente und faire Arbeitszeit

Das BAG-Urteil zielt darauf ab, Arbeitnehmer zu schützen. Bislang waren wöchentliche Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten nicht überall eindeutig nachweisbar. Besonders bei der Vertrauensarbeitszeit sammeln sich oft unbezahlte Überstunden an. Denn Mitarbeiter wollen in den meisten Fällen das Vertrauen des Arbeitgebers nicht ausnutzen. Somit arbeiten sie tendenziell mehr.

Das Urteil schafft eine transparentere Basis für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der erste Gesetzentwurf scheint beide wichtige Aspekte zu berücksichtigen: Sowohl die Dokumentationspflicht als auch den Einsatz von flexiblen Arbeitszeitmodellen.

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4. Müssen Unternehmen nun eine Zeiterfassungssystem einführen?

Nach dem BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung stand ein grober Rahmen für die Umsetzung bereits fest. Nun hat das BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) schon eine praktikable gesetzliche Regelung vorgeschlagen und konkret am 18. April 2023 einen Referentenentwurf veröffentlicht.

Jedes Unternehmen muss jetzt handeln und ein System zur Zeiterfassung einführen. Das ist laut BAG bereits heute geltendes Recht. Dies bedeutet auch, dass Arbeitgeber mit der Implementierung eines Zeiterfassungssystems nicht mehr lange warten dürfen. Das BMAS sieht Übergangsfristen vor und hat nun einen Vorschlag zur Anpassung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt. Diese Regelungen sind aber noch nicht in Kraft. Dies ist aktuell nur ein erster Entwurf.

Wichtig ist dabei, dass die Einbindung des Betriebsrates in einem solchen Vorhaben nicht vergessen werden sollte.

Es macht auch wenig Sinn eine Übergangs- bzw. Notlösung einzuführen. Denn auch solch eine Lösung ist mit (kosten)technischem, organisatorischen und zeitlichen Aufwand für alle Beteiligten verbunden.

Mit einer professionellen HR-Software, die auch ein transparentes und nachvollziehbares Zeitmanagement sicherstellt, sind Unternehmen für die Zukunft gewappnet. Schließlich gibt es im Markt einfache und integrierte Lösungen, die schnell und unkompliziert einzuführen sind.

Bußgelder von bis zu 30.000 €

Ein Unternehmen, das bislang kein Zeiterfassungssystem im Betrieb hat, verstößt heute schon (theoretisch und automatisch) gegen die Grundpflichten aus dem Arbeitsschutzgesetz. Das macht dann auch dieses Unternehmen potenziell angreifbar.

Denn der Betriebsrat könnte das eigene Unternehmen der Arbeitsschutzbehörde melden. Diese wiederum kann die Gesetzesauslegung des BAGs folgen. Und noch riskanter: Arbeitnehmer könnten direkt Ansprüche gegen das Unternehmen stellen.

Noch sind keine Sanktionen bekannt und es ist (noch) nicht mit unmittelbaren Bußgeldern zu rechnen. Denn ohne konkrete vorherige Anordnung der Arbeitsschutzbehörde gibt es noch keinen Verstoß. Natürlich bleibt aber abzuwarten, ob Arbeitsschutzbehörden auf Basis der BAG-Entscheidung zeitnah Anordnungen erlassen. Es ist aber davon auszugehen, dass dies zeitnah passieren wird.

Eine erste gesetzliche Regelung hat das Ganze schon mal konkretisiert: Laut aktuellem Gesetzentwurf des BMAS (18.04.2023) drohen bei Verstößen gegen die Aufzeichnungspflicht Bußgelder von bis zu 30.000 €.

Sie stellen selbst fest, wie „fragil“ das Gebilde in Sachen BAG-Urteil und Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ist. Eine Einführung eines Zeitmanagementsystems ist für alle Unternehmen unabdingbar.

BAG-Urteil Arbeitszeiterfassung und Anpassung des Arbeitszeitrechts

5. Wann erfolgt die Anpassung des deutschen Arbeitszeitrechts?

Das BAG-Urteil hat die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bestätigt. Das BMAS hatte umgehend auf die Veröffentlichung der BAG-Begründung vom Dezember 2022 reagiert. Außerdem liegt vom Gesetzgeber nun ein erster Gesetzentwurf bzw. Referentenentwurf vor. Dabei handelt es sich um einen Entwurf, der noch nicht das endgültige Regelwerk darstellt. Womöglich wird das finale Gesetz schon im laufenden Jahr 2023 in Kraft treten.

Diese klaren Neuregelungen sind vorgesehen

Der aktuelle Gesetzentwurf des BMAS sieht vor, dass die Arbeitszeit grundsätzlich elektronisch bzw. digital erfasst werden muss. Der vorgeschlagene Ansatz des BMAS sieht u.a. folgende Rahmenbedingungen vor:

  • Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit werden täglich bzw. tagesaktuell und elektronisch aufgezeichnet (Ausnahmen für Tarifparteien).
  • Eine bestimmte Form der elektronischen Aufzeichnung wird im Entwurf vorerst nicht vorgeschrieben.
  • Arbeitgeber können die Verantwortung für die Arbeitszeiterfassung auf die Arbeitnehmer übertragen, bleiben aber in der Kontrollpflicht.
  • Vertrauensarbeit bleibt weiterhin möglich, jedoch müssen die Arbeitszeiten ebenfalls erfasst werden.
  • Unternehmen müssen Nachweise über die erfasste Arbeitszeit im Inland und in deutscher Sprache aufbewahren (für mind. 2 Jahre).
  • Arbeitnehmer haben das Recht, auf Anfrage Auskunft über ihre aufgezeichnete Arbeitszeit vom Arbeitgeber zu erhalten.
  • Kleinbetriebe mit bis zu zehn Beschäftigten haben weiterhin die Möglichkeit, auf die elektronische Arbeitszeiterfassung zu verzichten. In solchen Fällen genügt es auch zukünftig, die von den Arbeitnehmern geleisteten Stunden in Papierform zu dokumentieren.

Für die Umsetzung der elektronischen Zeiterfassung für größere Betriebe sind folgende Übergangsfristen vorgesehen:

  • 1 Jahr ab 250 Mitarbeitenden
  • 2 Jahre bei weniger als 250 Mitarbeitenden
  • 5 Jahre bei weniger als 50 Mitarbeitenden
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Checkliste - Ist Ihre Arbeitszeiterfassung mit dem EuGH-Urteil konform?

6. Das BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung als Chance sehen

Jede Veränderung stellt eine Herausforderung für eine Organisation dar. Dennoch sollten Unternehmen sich auf die Chancen dieser Veränderungen fokussieren. In diesem Fall ist das eine Chance zur Digitalisierung des Personalmanagements. Aber auch bestehende HR-Prozesse und Vorgehensweise auf den Prüfstand zu stellen.

In diesem Zusammenhang sollten Unternehmen am besten das Thema Zeitmanagement in den Vordergrund stellen, und nicht die Zeiterfassung. Schließlich wirkt der Begriff „Zeitmanagement“ positiver als „Zeiterfassung“. Der HR-Bereich Zeitmanagement umfasst unterschiedliche, differenzierte Facetten, Workflows und Funktionen des Faktors Zeit.

Moderne HR-Lösungen bilden diesen Bereich vollständig ab. Man sollte diese Lösungen nicht unterschätzen bzw. nur auf das Erfassen der Arbeitszeiten eingrenzen. Mit einer flexiblen Zeitmanagementsoftware können Personalabteilungen Workflows und Genehmigungsprozesse optimieren, Fehlzeiten verwalten, Projektzeiten und Schichten managen, aber auch Kontrolle und Aufgaben an die Arbeitnehmer delegieren.

Am Ende des Tages kann die Einführung einer Zeitmanagement-Software die Transparenz und Fairness in Sachen Arbeitszeit im Unternehmen stärken. Das muss das primäre Ziel sein.

Was denken Sie über das BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung? Welche Auswirkungen befürchten Sie für Ihr Unternehmen? Welche Chancen sehen Sie für Ihre Personalabteilung?

Haben Sie zu diesem Thema weitere Fragen oder Anregungen? Gerne können Sie hier einen Kommentar hinterlassen oder sich direkt bei uns melden. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!

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